Ich zeige an drei Beispielen funktionale Fixierung und was jeder dagegen tun kann. Kurz gesagt ist funktionale Fixierung ein unbewusster Wahrnehmungsfilter, der eine Person so einschränkt dass sie ein Objekt nur so wahrnimmt wie es üblicherweise verwendet wird.
Ein bekanntes psychologisches Labor-Experiment zum Thema ist das Kerzen-Experiment, das Daniel Pink in seinem berühmten TED-Vortrag „the surprising science of motivation“ schildert. Der ganze Witz am Kerzen-Experiment ist, dass es demonstriert dass funktionale Fixierung mit Zuckerbrot und Peitsche nicht schneller überwunden werden kann – im Gegenteil. Hier sind ein paar Beispiele aus der wirklichen Welt und der Trick, wie funktionale Fixierung tatsächlich schnell abgelegt werden kann.
Das erste Beispiel ist eine Geschichte, die mir ein Freund vor einiger Zeit erzählt hat. Vielleicht sind die Details nicht mehr genau richtig, doch der Kern der Geschichte stimmt.
Autos lackieren
Er war zur Zeit dieser Geschichte gerade auf der Suche nach dem Thema seiner Diplomarbeit. Idealerweise war sowohl das Thema interessant als auch ein wenig Geld zu verdienen. So kam er auf einen Automobilhersteller, der in der folgenden Situation war:
Nach dem Lackieren kamen die Karosserien in eine spezielle Halle zum Trocknen, und sobald der Lack trocken war wieder in die nächste Halle mit dem nächsten Fließband. Es spielt keine Rolle warum, jedenfalls brachte der Aufenthalt in der Halle zum Trocknen die Reihenfolge der Karosserien durcheinander. Um also die Arbeiten am Fließband in der nächsten Halle richtig zu koordinieren, musste als erstes ein Techniker unter das Auto krabbeln und eine eingeschlagene Nummer lesen. Dann ging der Techniker zu einem Terminal am Anfang des Fließbandes und gab diese Nummer ein. (Für die die sich gerade wundern: Ja, es ist tatsächlich schon eine Weile her). Natürlich war dieser Prozess langsam und fehleranfällig, und es wäre doch eine tolle Diplomarbeit, eine Kamera zu installieren und mit Computer-Schrifterkennung die Nummer zu lesen und so das Leben aller Beteiligten zu erleichtern?
Natürlich war das eine tolle Diplomarbeit. Nur… die Fehlerquote der Schrifterkennung lag bei etwa 0,1% (oder 0,01%? – ich weiß es nicht mehr, die tatsächliche Zahl spielt auch keine Rolle, sie war jedenfalls zu hoch) – und eines von tausend Autos falsch montieren war betriebswirtschaftlich keine sinnvolle Option. Als also mein Freund mit seiner Diplomarbeit fertig war, krabbelten die Techniker wieder unter die Autos.
Und als mir, mehr als zehn Jahre später, mein Freund diese Geschichte erzählte sagten wir sofort: Eigentlich hätte er die Kamera montiert lassen können und einfach das Bild auf einen Monitor neben dem Terminal legen. Die Nummern hätten immer noch von Hand eingegeben werden müssen, doch wenigstens wäre niemand mehr unter das Auto gekrabbelt. Natürlich wäre das die Lösung gewesen, doch damals war jeder so auf die Schrifterkennung fixiert dass niemand auf die Idee kam, wie einfach es hätte sein können.
Die zweite Geschichte ist von einem anderen Freund:
1,001 Webseiten
Dieser Freund erzählte mir gerade, dass er sich sein Studium mit einer Webdesign-Firma finanziert hatte. (Ja, auch das ist lange her…) Aus irgendeinem Grund hatten sie folgendes Geschäft mit einem ihrer Professoren abgeschlossen: Der Professor zahlt für einen Teil ihrer Ausgaben, und im Gegenzug würden sie die Webseite seines Institutes erstellen.
Die gelernte Lektion lautet: Vor so einem Geschäft sollte man nach der Spezifikation der Webseite fragen. Es handelte sich um ein Institut für Bildverarbeitung (wenn auch nicht das aus „Autos lackieren“), und der Professor wollte eine separate Seite für jedes von etwa 1.000 Bildern, die seine Forschung zu Bildverarbeitung zeigten.
Dynamisch generierte Webseiten oder gar Redaktionssysteme waren kaum erfunden und jedenfalls damals noch nicht zuverlässig, also setzten sich die beiden hin und schrieben 1.000 Webseiten von Hand wie sie es immer getan hatten. Jeder war fixiert auf „wie sie es immer gemacht hatten“. Hier war die Lösung natürlich die: Sie hätten die Webseiten statisch generieren können, mit Shell-Skripten, perl, vielleicht wäre sogar awk gut genug gewesen. Sie hatten sogar Erfahrung mit diesen Werkzeugen. Und wie zuvor auch bestätigte mein Freund sofort, dass das machbar gewesen wäre.
Vielleicht denken Sie jetzt dass meine Freunde bestenfalls mittelmäßig sind, aber ich versichere Ihnen dass gerade diese beiden wirklich helle Köpfe sind. Funktionale Fixierung ist eine Denk-Gewohnheit, die jeden erwischen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, „sie“ erwischt mich auch hin und wieder, und ohne Sie zu kennen, geschätzter Leser, bin ich mir dennoch ziemlich sicher dass Ihnen das auch schon passiert ist.
Hier ist die dritte Geschichte
Was wir dagegen tun können
Nach der Diskussion über die tausend Webseiten konnte ich – wie so oft in letzter Zeit – nicht anders als meinem Freund die Geschichte vom Kerzen-Experiment zu erzählen. Die Geschichte über die tausend Webseiten hatte uns schon in eine spaßige Stimmung gebracht und wir hatten viel gelacht. Als ich den Punkt erreichte an dem ich meinen Freund fragte: „Du bekommst eine Schachtel Reißnägel, Zündhölzer, eine Kerze und eine Pinwand. Die Aufgabe ist, die brennende Kerze so an der Pinwand zu befestigen, dass sie nicht auf den Boden tropft.“ antwortete er sofort „ich lege die Pinwand flach auf den Boden und stelle die Kerze drauf.“
Zunächst möchte ich bemerken, dass diese Lösung meiner Beschreibung nach korrekt ist, auch wenn es nicht die Lehrbuchlösung ist. Übrigens, sie überwindet funktionale Fixierung in Bezug auf die Pinwand.
Als ich danach vorgab dass die Pinwand fest an der Wand befestigt ist, lachten wir beide noch einmal und er kam sofort auf die „richtige“ Lösung: Nimm die Schachtel Reißnägel und leere sie aus…
Die Schlußfolgerung ist:
Wenn Du glaubst Du steckst fest, lach mal wieder.
Diese beiden Beispiele und viele, viele weitere zeigen ganz klar: Lachen überwindet das Problem.
Diese Erkenntnisse sind wesentlicher Input für unsere Seminare und unser Coaching.
Wann haben Sie zuletzt ihre Kollegen zum Lachen gebracht, als sie das Gefühl hatten, festzustecken?